Ich habe Julia bei meiner Ausbildung zur Stoffwindelberaterin 2016 kennengelernt und mehr möchte ich auch an dieser Stelle noch nicht über sie erzählen. Dieser Erfahrungsbericht ist ein Interview mit ihr.

Natalie: Julia, erzähle doch kurz etwas zu dir. Wer bist du, was findest du wichtig über dich zu wissen?

Julia: Ich bin 33 Jahre alt und Mama eines bald zweijährigen Sohnes. Beruflich habe ich bis zur Geburt an Fragen zu kulturellen Naturvorstellungen und deren Einfluss auf Gesellschaft und Natur geforscht und gearbeitet. Momentan betreue ich meinen Sohn und blogge über nachhaltige Windeln und weniger Müll im Familienalltag. Nähe ist für uns ein Baby-Grundbedürfnis, davon kann es gar nicht zu viel geben. Das Tragen war für uns von Beginn an selbstverständlich und wir haben uns in der Schwangerschaft mit Tüchern und Bindeweisen beschäftigt.

Natalie: Dir war also schon in der Schwangerschaft klar, dass du tragen möchtest. Kannst du sagen, wie du dazu gekommen bist? Oder geht es für dich dabei hauptsächlich um den Gedanken der Natürlichkeit und der Nähe?

Julia: Eine gute Freundin der Familie hat ihr Kind in meiner Jugendzeit getragen. Ich habe das Kind stundenlang friedlich schlafend in der Wickelkreuztrage gesehen. Mit dem Baby auf dem Rücken hat sie Ställe ausgemistet. Das hat mich nachhaltig beeindruckt und das wollte ich auch so machen.

Natalie: Das klingt schön! Wolltest du von vorneherein im Tuch tragen oder hattest du noch keine genaue Vorstellung? Welche Bindeweisen, Tragetücher oder auch Tragehilfen habt ihr genutzt?

Julia: Ich kannte anfangs nur das Didymos Tragetuch der besagten Freundin. Auf einem Adventsbasar habe ich während der Schwangerschaft eine Tragehilfe gesehen und wir kauften uns dann beides, um zu sehen was passt. Ab Geburt kam nach etwas Recherche nur das Didymos infrage. Wir übten in der Schwangerschaft mit Youtube-Videos die Wickelkreuztrage vor und zurück. Mit Baby war das aber doch eine ganz andere Nummer und es saß nicht richtig. Unser Neugeborenes hat sich sehr unwohl gefühlt und es dauerte ewig bis alles saß. Der Zeitpunkt war da für eine Trageberatung. Sie besuchte uns im Wochenbett.

Unser Kind litt an starken Bauchschmerzen und jede Lageveränderung wurde mit Schreien quittiert. Eine richtig gute Position zum Liegen war auch nicht zu finden. Das war beim Tragen dann nicht anders. Wir schliefen über Monate nur 4-5 Stunden und nichts half so wirklich.

Die Trageberatung übte mit uns weiter die Wickelkreuztrage und gab gute Tipps. Leider glänzten wir nicht mit Bindetalent und das Kind war, im nun viel strafferem Tuch, komplett am Ausrasten. Enge war ein grosses Problem, auch Pucken war eine Katastrophe. Trotz absoluter Traumgeburt ohne Stress und osteopathischer Untersuchung. Die Dame gab das Binden mit uns auf und wir schwenkten zur MeiTai. Das ging viel flotter und das Baby war nicht so eng gebunden. Im Verlauf probierten wir die Wickelkreuztrage noch einige Male, teilweise auch mit Erfolg (aber nur im Schlaf, wach musste er sofort da raus).

Julia trägt ihren Sohn in dem Fräulein Hübsch Mei Tai auf bei Rücken. Im Hintergrund sind Berge zu sehen.

Die Fräulein Hübsch funktionierte, wenn auch immer nur kurz, wirklich gut. Mit 8 Monaten waren wir sogar im Allgäu mit dem Kind wandern. Ohne den Kinderwagen überhaupt dabei zu haben. Kinderwagen ging übrigens genauso wenig. Die beste Trageweise war tatsächlich auf dem Arm von Papa mit Blick nach vorne. So gingen wir jeden Abend bis in die Dunkelheit spazieren (doofe Blicke gabs viele) und legten ihn dann zu uns ins Familienbett.

Natalie: Das hört sich anstrengend an. Kannst du sagen, wann und ob es besser wurde?

Julias Mann trägt den gemeinsamen Sohn in einer Schneelandschaft vor dem Bauch.

Julia: Ab dem sechsten Monat waren die Bauchschmerzen fast weg. In Kombination mit Windelfrei (besonders nachts wollte er abgehalten werden, aber nicht im Schlafzimmer sondern nur auf dem Balkon). Windelfrei war ein wichtiger Schlüssel. Wenn auch kein Allheilmittel.

Natalie: Schön, dass es einfacher wurde! Wo siehst du Vor- oder auch Nachteile beim Tragen? Bist du vielleicht auch Vorurteilen begegnet? Wenn ja, welchen?

Julia: Ich hätte gerne eine Tragekultur in meiner eigenen Familie gehabt, sodass man sich gegenseitig helfen kann und Erfahrungen da sind. Oft musste ich mir anhören, dass ich auch ohne Tuch gross geworden bin und nie geschrien habe. Inmitten von wirren Tuchbahnen und schreiendem Säugling kann man sich nettere Worte wünschen. Man ist am Anfang einfach so unsicher. Bei einem weiteren Kind würde ich aber wieder mit einem Tuch beginnen (mittlerweile haben wirs ja einigermassen drauf) und mir dann aber auch keinen Kopf machen, wenn es das Tuch nicht mag. Sätze wie: 'Jedes Kind will getragen werden' , haben mich in dem Moment total verunsichert. Ja, jedes Kind will getragen werden, aber manche eben nicht eng und im Arm. Das wäre für mich heute keine Diskussion mehr.

Natalie: Das stimmt. Weniger Dogmatismus würde uns auch hier sehr gut tun!

Julia: Ja, exakt!

Natalie: Liebe Julia, ich danke dir für das Interview und das Teilen deiner Erfahrungen. Ich wünsche euch weiterhin alles Gute!