Stillen ist politisch.

So lautet der Titel des aus dem englischen übersetzten Buchs von Gabrielle Palmer. Ja, eigentlich ist alles politisch. Ich weiß.

Doch was hat das Stillen mit Politik zu tun?

Die Ernährung von Säuglingen ist zum Geschäft geworden. Die erste Formulanahrung, also Milchersatznahrung für Babys, gab es ab Mitte des 19. Jahrhunderts und wurde bekannt unter dem Namen Suppe für Säuglinge. Das ist im Vergleich zur Menschheitsgeschichte noch gar nicht lange her.

Aufnahme eines Glases mit Milch.

In den nächsten Jahrzehnten und insgesamt nicht einmal zwei Jahrhunderten witterten immer mehr Geschäftsleute das große Geld. Es gab merkwürdige Mischungen und undurchsichtige Versprechungen. Firmen beeinflussten nicht nur Mütter, sondern auch Ärzte und Kliniken durch kostenlose Proben und vieles mehr.

Zunehmend wurde deutlicher, welche Rolle die Werbung und die Beeinflussung durch die Firmenpolitik auf das Stillen ausübte. Stillraten sanken, Familien hatten eine große finanzielle Belastung und Kinder ein gesundheitliches Risiko. 1981 wurde daher der WHO-Kodex zur Vermarktung von Muttermilchersatzprodukten verabschiedet.

Ziel des Kodex ist es, das Stillen zu fördern und dort, wo ein Ersatz notwendig ist, sachgemäße Informationen zur Verfügung zu stellen. Nicht selten begegnet mir Widerstand, wenn ich über den Kodex spreche. Frauen haben das Gefühl sich rechtfertigen zu müssen, dass sie nicht (mehr/ ausschließlich) stillen.

Aufnahme eines stillenden Babys.

Doch es geht bei dem Kodex nicht darum, zu verurteilen. Es geht nicht darum, das Stillen um jeden Preis zu verlangen und alles andere als schlecht darzustellen. Bei dem Kodex zur Vermarktung von Muttermilchersatzprodukten geht es darum, dass Mütter und Schwangere eine auf Fakten basierende Entscheidung treffen können, die nicht von Werbeversprechen beeinflusst ist.

Und während ich diese Zeilen schreibe, wird mir übrigens Werbung für Folgemilch bei Instagram angezeigt. Das macht mir mal wieder deutlich, wie aktuell und wie bedeutsam das Thema ist.

Doch was steht überhaupt im Kodex?

Ich beschreibe im Folgenden kurz die wichtigsten Punkte, welche im im WHO-Kodex festgehalten wurden.

Es darf keine Werbung in der Öffentlichkeit für irgendwelche Muttermilchersatzprodukte geben. Dies betrifft Formulanahrung (trinkfertig und in Pulverform) ebenso wie Flaschen und Sauger. Auch in Gesundheitseinrichtungen wie Praxen und Kliniken oder bei anderem medizinischem Personal darf es keine Werbung geben. Kostenlose Proben oder irgendwelche Vergünstigungen sind hierbei mit eingeschlossen. Hierunter fallen dann beispielsweise auch kostenlose Stilleinlagen, Beruhigungssauger (Schnuller), Kugelschreiber, Notizblöcke und Broschüren.

Alle Inhalte müssen wissenschaftlich korrekt sein, also auf dem aktuellen Wissensstand entsprechend und dürfen keine Werbung darstellen. Durch die Vermarktung von Beikost darf das Stillen nicht als bedeutungslos dargestellt werden.

Verpackungen der Hersteller müssen klare, nachvollziehbare und vollständige Inhalte und Anweisungen enthalten. Das Nähren mit der Flasche oder der Formulanahrung darf nicht idealisiert werden und Babybilder dürfen nicht auf der Verpackung abgebildet werden.

Die Produkte insgesamt müssen den Qualitäts- und Sicherheitsstandards der WHO entsprechen. In Deutschland gilt hier rechtlich bindend entsprechende EU-Verordnung, welche für alle einsehbar ist.

Aufnahme eines Babys, welches mit der Flasche gefüttert wird.

Unternehmen haben immer die Pflicht sich an den Kodex zu halten, selbst wenn eine Regierung dies nicht tut. (Leider ist mir kein Unternehmen bekannt, welches sich kodexkonform verhält.) Gleichzeitig haben Regierung die Verpflichtung, objektive und verständliche Informationen zur Säuglingsernährung zur Verfügung zu stellen. Interessenskonflikte sollen dabei vermieden werden.

Der Kodex und seine Umsetzung

Auch wenn Länder den Kodex mit unterzeichnet haben, heißt das nicht gleichzeitig, dass sie sich auch daran halten. Dafür müsste der Kodex im jeweiligen Gesetz verankert werden. Inwiefern das der Fall ist, ist sehr unterschiedlich.

In Deutschland beispielsweise sind Teile davon rechtlich bindend, andere hingegen nicht. Hier darf für Säuglingsanfangsnahrung wie PRE oder 1er-Nahrung nicht geworben werden, für Folgenahrung und sogenannte Kindermilch allerdings schon.

Aufnahme einer Skulptur von Justitia.

Deutschland liegt hier insgesamt im Mittelfeld was die Umsetzung betrifft. In anderen Ländern ist der komplette Kodex gesetzlich verankert. In diesen Ländern wurde seitdem ein deutlicher Anstieg der Stillraten verzeichnet, ebenso wie eine Verbesserung der Gesundheit von Mutter und Kind. Dies ist besonders bedeutsam für Länder mit einer schwierigen medizinischen Versorgung oder einer hohen Armut, wenn sich dadurch medizinische Versorgung nicht in Anspruch genommen wird.

Natürlich könnte man jetzt leicht sagen, dass wir in Deutschland ein relativ gutes Gesundheitssystem haben und daher nicht auf den Kodex angewiesen wären. Doch anders herum gefragt: Was verlieren wir, wenn der Kodex umgesetzt wird?

Firmen verlieren Einnahmen, ja. Doch was verlieren wir als Gesellschaft? Was verlieren Mütter, Väter und Kinder? Mir ist dazu kein Argument eingefallen, welches zeigen würden, dass wir als Gesellschaft und Individuen Nachteile dadurch hätten, wenn der Kodex vollständig rechtlich bindend wäre.

Fazit

Ich habe dir in diesem Artikel ein paar meiner Gedanken zum Kodex zur Vermarktung von Muttermilchersatzprodukten mitgeteilt. Ich habe beschrieben, was der Kodex überhaupt ist und was darin steht.

Mir ist an dieser Stelle noch einmal wichtig zu betonen, dass von der vollständigen Umsetzung wirklich alle, bis auf die entsprechenden Firmen, profitieren würden. Eine sichere Ernährung mit Formulanahrung ist genauso das Ziel, wie die Stillförderung selbst.

Was sind deine Gedanken zu dem Thema? Ich freue mich davon in den Kommentaren zu lesen!

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