Als Mama eines in der 38. Schwangerschaftswoche totgeborenen Babys, höre ich oft: „Ich hatte mal eine Fehlgeburt, aber das kann man ja gar nicht vergleichen.“ Ich finde: man kann alles vergleichen und manchmal findet man Gemeinsamkeiten und manchmal Unterschiede und meistens gibt es von dem einen mehr als von dem anderen.

So auch hier. Bevor ich beginne, schicke ich vorweg, dass ich nie eine vollendete, nur drohende Fehlgeburten hatte und deshalb heute nur von dem Standpunkt einer Mama schreiben kann, die ihr Kind in der Spätschwangerschaft verloren hat.

In der Schwangerschaft mit meiner großen Tochter hatte ich eine Blutung in der 13. Woche, in der Schwangerschaft mit meiner kleinen Tochter hatte ich eine heftige Blutung in der 11. Woche. Als ich in der Schwangerschaft mit meiner großen Tochter ins Krankenhaus fuhr, sagte der Arzt: Da kann man nichts machen, entweder das Baby bleibt oder nicht.

In der Schwangerschaft mit meiner kleinen Tochter wusste ich das dann schon und war trotzdem außer mir. Ich erinnere mich gut an die Ängste und Sorgen, die ich angesichts der drohenden Fehlgeburten hatte und auch an die Erleichterung und Freude, dass die Mädchen dann doch geblieben sind, wenn eine auch nur vorerst.

Und ich glaube, dass genau das die große Gemeinsamkeit ist: Der Schmerz über ein verlorenes Kind ist immer groß. Es tut so weh, auch, wenn das Kind nur wenige Tage oder Wochen bei einem war.

Ich hatte zu meinen Kindern sofort eine Verbindung und wusste schon vor dem Schwangerschaftstest, dass sie da sind. Ich habe mir gleich ausgemalt, wie es sein würde, mit ihnen zusammenzuleben und ihre Mama zu sein. Die Liebe war sofort da.

Und diese Liebe zu verlieren und nicht ausleben zu können, ist so, so schmerzhaft. Die Gefühle sind also sehr ähnlich. Was sich unterscheidet, sind die Rahmenbedingungen. Während Fehlgeburten relativ verbreitet sind, sind Totgeburten es nicht. Etwa jede dritte Schwangerschaft endet in einer Fehlgeburt, das sind etwa 30%. Dahingegen werden nur drei bis vier von 1000 Babys totgeboren, nicht mal 0,5% also.

Das heißt, sowohl das Vorkommen ist sehr unterschiedlich, als auch das Wissen darum.

Ich persönlich wusste nicht mal, dass Babys in dem Schwangerschaftsalter noch im Bauch sterben. Was rückblickend ein bisschen verrückt ist, weil das Leben einfach jederzeit zu Ende sein kann. Eben auch im Bauch der Mutter.

Wir haben also mit Lene gerechnet. Ich glaube, im ersten Trimester verlassen sich viele Familien noch nicht 100%ig auf die Schwangerschaft, gerade weil die Fehlgeburtsrate so hoch ist. In den letzten Wochen vor der Geburt rechnet niemand mehr damit, dass das Kind noch geht. Und nicht nur, weil man das nicht weiß. Auch wenn es zur Lebensrealität gehört, dass Babys auch tot geboren werden, denkt man immer immer immer, dass es einen nicht trifft.

Wenn ich mir überlege, was noch anders war in der Früh- und Spätschwangerschaft, dann ist es die Beziehung zum Kind. Im ersten Trimester spürt man sein Kind noch nicht. Das ändert sich dann. Ich kannte Lene schon ganz gut. Wir konnten miteinander kommunizieren. Ich habe gemerkt, dass sie ein ganz anderes Temperament hat als ihre große Schwester. Sie hatte schon eine Persönlichkeit, die ich erahnen konnte und wir waren im Kontakt miteinander. In den Frühschwangerschaften war das noch anders.

Und es war alles vorbereitet. Sie hätte nur noch einziehen müssen. Man muss alles irgendwann wieder wegräumen. Das hat mir mehr weh getan, als es mir weh getan hätte, erst gar nichts hinzurichten für das Baby.

Und trotzdem hatten wir in der 5. Schwangerschaftswoche zwei Kuscheltieräffchen gekauft. Als Glücksbringer. Der erste Geschwisterkauf. Das hat mir irre viel bedeutet. Der Anblick der Äffchen ist ungebrochen schmerzhaft und das wäre nicht anders, hätte Lene sich früher verabschiedet.

Die Vorstellung der vierköpfigen Familie hatte ich sofort im Kopf und im Herzen. In der Frühschwangerschaft ist für andere noch nicht sichtbar, dass ein Baby dabei ist. Kurz vor der Geburt weiß jeder, dass bald ein Baby geboren wird. Und das ist schwer, weil jeder sieht, dass dann jemand fehlt.

Ich wurde gemieden, angestarrt, viele haben einfach nichts gesagt, weil sie nicht wussten, wie sie mit mir umgehen sollten.

Das war einsam. Genau wie man nach einer Fehlgeburt einsam ist, weil eben noch niemand gesehen hat, dass man schwanger ist, weil man es vielleicht auch noch gar niemandem gesagt hatte und weil es gesellschaftlich nicht gerade verbreitet ist, über den Verlust eines Kindes zu sprechen.

Man ist da ganz schön alleine. Und das macht es alles noch schwerer.

Was gibt es noch für Unterschiede?

Mein Kind hat ein Grab. Wir mussten unser Baby beerdigen. Wir mussten einen Sarg wählen, eine Zeremonie organisieren, Blumen wählen, überlegen, wer an der Beerdigung teilhaben soll, uns für eine Grabtafel und eine Bepflanzung entscheiden.

Wir mussten unser 57 cm großes und 3210 g schweres Kind in die Erde lassen und auf einem Friedhof zurücklassen. Ich habe sie nicht nur im Herzen, es gibt auch diesen Ort, an dem ich sie immer wieder besuchen kann. Was ich so mitbekommen habe, gestaltet sich das bei Fehlgeburten etwas anders.

Aber muss es das? Und ab wann spricht man denn von einer Totgeburt? Was genau ist eine Fehlgeburt?

Es gibt da klare Richtlinien, die ich gerne noch aufführen will. Auch als Eltern fehlgeborener Kinder hat man Rechte und es kann bestimmt vielen Eltern helfen, diese zu kennen, um die richtigen Schritte für sich in seiner Verarbeitung zu gehen.

Die Grenze zwischen Fehl- und Totgeburt liegt bei 500g. Ein Baby unter 500g wird als Fehlgeburt bezeichnet, darüber als Totgeburt, sofern es eben keine Lebenszeichen zeigt. Zeigt ein Baby Lebenszeichen ist es eine Lebendgeburt, unabhängig vom Gewicht.

Das Bestattungsrecht ist in Deutschland Ländersache, also gibt es unterschiedliche Regelungen. In allen Bundesländern haben Eltern ein individuelles Bestattungsrecht für fehlgeborene Kinder, die nach der 12. Schwangerschaftswoche geboren sind.

In allen Bundesländern haben Eltern von lebendgeborenen und dann verstorbenen Kindern eine Bestattungspflicht. Das eine kann man also machen, das andere muss man. In einigen Bundesländern beginnt die Bestattungspflicht bei einem Geburtsgewicht ab 500g, in anderen Bundesländern erst bei 1000g.

In Nordrhein-Westfalen gibt es keine Gewichtsgrenze. Es gilt: „Fehl- und Totgeburten können bestattet werden, auch aus Schwangerschaftsabbrüchen. Liegt keine Erklärung der Eltern vor, sind Tot- und Fehlgeburten von den Einrichtungen unter würdigen Bedingungen zu sammeln und zu bestatten.“

Es lohnt sich also, sich zu informieren. Soweit ich das jetzt gelesen habe, sind Sammelbestattungen ganz üblich.

Es gibt Tage, da bekomme ich die Verbindung zu Lene nur auf dem Friedhof und es gibt Wochen, da spüre ich sie auch so und brauche diesen Ort nicht. Einen Ort zu haben, an dem man sein Kind weiß und ihm Dinge vorbeibringen kann, kann für Familien sicher eine große Stütze sein.

Eine weitere ganz wichtige Information finde ich, ist, dass man auch fehlgeborene Kinder beim Standesamt melden kann. Dazu benötigt man ein ärztliches Attest über die Fehlgeburt oder einen Mutterpass. Legt man diesen beim Standesamt vor, stellt das Standesamt eine Bescheinigung aus, in der das Kind mit Vor- und Nachnamen, sowie Geschlecht, Geburtstag und Geburtsort erfasst wird. Das kann man auch noch Jahre später tun.

Lenes Geburtsurkunde im Stammbuch zu wissen, ist mir wichtig.

Auch wenn die Kinder nicht bei uns sind, gehören sie zur Familie und haben ihren Platz verdient. Ich finde es so wichtig, sie sichtbar zu machen. Alle Babys, egal wann sie gegangen sind.

Ich denke, wegen der Gemeinsamkeiten geht man so in Resonanz und fühlt sich verbunden. Und wegen der Unterschiede fühlt es sich passend an, zu ergänzen, dass es sich nicht vergleichen lässt. Vielleicht ließe sich das in einer zukünftigen Aussage mit einer Gesprächseinladung verbinden.

"Ich hatte eine Fehlgeburt und das war schmerzhaft. Deshalb glaube ich, eine Vorstellung davon zu haben, wie es dir mit der Totgeburt gehen muss. Magst du davon erzählen?“

Was meinst du?

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  1. Titelbild des Artikels