Mein Sohn wird im Sommer fünf Jahre alt. Seit einiger Zeit trägt er sehr gerne Kleider. Ich möchte hier von den Reaktionen aus dem Umfeld und meinen Gedanken dazu berichten.

Zunächst einmal musste ich mich selbst erst an den Gedanken gewöhnen, dass mein Sohn ein Kleid tragen möchte. Als er das zum ersten Mal geäußert hatte, war er noch keine vier Jahre alt, wenn ich mich richtig erinnere. Ich habe mich innerlich ziemlich dagegen gesperrt. Zu groß waren die Ängste, er könnte ausgelacht und beschimpft werden. Zu groß waren die Sätze wie "Jungs tragen doch keine Kleider, das macht man nicht."

Wovor ich nie Angst hatte, dass es irgendwas mit "Schwulsein" oder so zu tun haben könnte. Das ist mir egal. Nein, falsch ausgedrückt. Es ist mir nicht egal, gleichzeitig kann mein Sohn seine eigenen Entscheidungen treffen. Außerdem hat beides auch wenig miteinander zu tun, auch wenn so mancher das vielleicht behaupten möchte.

Ich musste feststellen, dass meine eigenen Ängste ihn hinderten eigene Erfahrungen zu machen und sich selbst auszuleben. Aber halt, dachte ich mir, das möchte ich doch gar nicht. Ich kann ihn nicht vor "Fehlern" bewahren (und wer weiß, ob das überhaupt einer ist), ich kann nur für ihn da sein, wenn er mich braucht. Loslassen Schritt für Schritt. Er kann seine eigenen Entscheidungen treffen. Nachdem ich mich dann also vor einer Entscheidung gedrückt hatte und mich auch erfolgreich davor verweigert hatte, mich meinen eigenen Ängsten zu stellen, bot ich ihm schließlich doch an, einfach ein Top von mir als Kleid anzuziehen.

Als er also zum ersten Mal mit seinem Topkleid in den Kindergarten ging, war ich zugegebenermaßen sehr nervös. Ich hatte das Gefühl ihn nicht beschützen zu können. Und das stimmt auch. Ich kann ihn nicht immer und überall beschützen. Das will ich auch nicht. Ich möchte, dass mein Sohn irgendwann reflektierte Entscheidungen treffen kann und dafür im Anschluss selbst die Verantwortung übernimmt. Wie kann er das lernen, wenn ich ihn nicht einmal entscheiden lasse, was er anziehen möchte. Du siehst, das Thema hat mich ziemlich beschäftigt…

Ein Kind in einem Kleid springt fröhlich auf einer Wiese in die Luft.

Jedenfalls kamen im Kindergarten insgesamt relativ wenige Reaktionen. Für einige Kinder war es überhaupt nichts Besonderes. Sie äußerten sich gar nicht und es schien ihnen nicht einmal aufzufallen. Andere Kinder, vor allem Mädchen sagten, dass das Kleid sehr schick sei. Nur ein Junge äußerte, dass er ja aussehen würde wie ein Mädchen. Doch meinen Sohn störte die Aussage nicht. Er sagt lediglich: "Na, und?" Und damit hatte sich die Sache erledigt.

Mittlerweile geht mein Sohn recht regelmäßig mit seinem Kleid zum Kindergarten. Einfach, weil es ihm gefällt. Er sagt, er macht sich schick, wenn er mit Strumpfhose und Kleid zum Kindergarten geht. Das stimmt ja auch. Leider wird das bei Jungs häufig anders gesehen.

Doch es ist noch gar nicht viel Zeit vergangen seit Mädchen und Frauen Hosen tragen. Da würde allerdings niemand mehr etwas sagen. Es ist Normalität geworden. Sind Kleidungsstücke und Farben denn nicht auch einfach für alle da? Warum muss so etwas Banales irgendwelchen Geschlechtern und veralteten Rollenbildern zugeordnet werden?

Wenn wir älter werden und unsere Kinder zunehmend größer, setzen wir uns früher oder später mit dem Thema auseinander, was wir unseren Kindern gerne mitgeben möchten für ihr Leben. Wir machen uns Gedanken darüber, was wir uns für unsere Kinder wünschen und welche Eigenschaften uns wichtig sind. Vielen Eltern, so auch uns, fällt dann Toleranz ein. Ich wünsche mir, dass meine Kinder offen, tolerant und respektvoll mit anderen Menschen, Tieren und der Natur umgehen. Ich wünsche mir, dass sie Unterschiede nicht als negativ betrachten, sondern als Chance zum Lernen und zum Wachsen.

Doch wie kann ich Toleranz lernen und zeigen, wenn mein Sohn nicht anziehen darf, was er möchte? Wie kann er Toleranz lernen, wenn ich ihn für seine Wünsche verurteile?

So waren die Reaktionen der Kinder auf das Tragen des Kleides nur eine Sache. Da musste ich feststellen, dass Kinder in vielerlei Hinsicht sehr viel offener und vorurteilsfreier sind, als wir Erwachsene. Ein Junge hat bspw. gesagt, dass er das pinke Einhornkostüm meines Sohnes an Fasching total cool fände. Die Erzieher/innen und Eltern waren da schon ganz anders. Von der Seite kamen aussagen wie "Wenn er sich zum anderen Geschlecht hingezogen fühlt, kann man da ja eh nichts machen." oder "Ach, er wollte sich mal wieder verkleiden?" oder auch "Warum zieht er ein Kleid an? Er ist doch ein Junge.".

Ein Mädchen in einem rosa Einhornkostüm.

Das finde ich dann schon ziemlich anstrengend. Meinen Sohn scheint es hingegen überhaupt nicht zu stören. Ich glaube, ich kann viel von ihm lernen!

Zu den Aussagen: Was hat das Anziehen eines Kleides mit dem Hingezogen fühlen zum anderen Geschlecht zu tun? Nein, er verkleidet sich nicht als Mädchen. Er zieht einfach nur gerne ein Kleid an. Und ja, auch Jungs dürfen Kleider tragen. Es nervt mich. Wirklich. Ich versuche es nicht an mich ranzulassen. Es einfach zu ignorieren. Aber es gelingt mir nicht. Es zermürbt mich, wie viel geurteilt wird. Allein bei so etwas Banalem wie der Wahl des Kleidungsstücks.

Ich wollte meinen Sohn beschützen und ihm eine Entscheidung abnehmen. Jetzt bin ich froh, dass ich es irgendwann nicht mehr getan habe. Ich bin froh, dass er seine ganz eigenen Erfahrungen sammeln kann. Ja, es waren hauptsächlich positive Reaktionen. Wenn er Schwierigkeiten gehabt hätte oder es ihm nicht gut gehen würde, wäre ich natürlich für ihn da und würde ihn unterstützen, soweit er es sich wünscht. Ich bin glücklich, dass ich meine Ängste ablegen konnte, die ihn eingeschränkt haben. Dieser Prozess hat mir wieder einmal gezeigt, was für ein starkes Kind ich doch habe und ich konnte viel daraus lernen.

Das Gleiche gilt übrigens auch für lange Haare, Zöpfe und Schmuck. Eigentlich gilt es für alles, was vermeintlich irgendwelchen Geschlechter- oder Rollenbildern zugeschrieben wird.

Bildquellen:

Das Titelbild kommt von unsplash.com.

Bild 1 (Kind auf der Wiese) im Artikel kommt von unsplash.com.

Bild 2 (Kind im Einhornkostüm) im Artikel kommt von unsplash.com.