Eines Tages, als ich wieder in dem Dilemma steckte, sowas wie Durst zu verspüren und das Kind schlafend in meiner Armbeuge lag, ging ich sanft wippend in das Kinderzimmer und holte die Trage aus dem Schrank. Ich schaute mir bei Youtube eine Trageanleitung an und fummelte das Ding zu Recht, bis es gut passte. Dann schnallte ich mir mein mittlerweile laut protestierendes Kind auf den Bauch und ruckelte umher, bis ich der Meinung war, dass es richtig saß. Das Ergebnis war beeindruckend. Nicht nur, dass mein Kind nach nicht mehr als zwei Minuten zufrieden in meinem Dekolleté einschlief- ich wiederentdeckte das längst vergessene Gefühl der Armfreiheit. Es war einfach nur befreiend. Ich hatte wieder zwei freie Hände zur Verfügung und sofort ging ich ans Werk. Kochte mir Tee und räumte auf. Nach einer Stunde emsigen Putzens waren zumindest Küche, Schlafzimmer und Bad wieder in annehmbaren Zustand und ich war vollends zufrieden. Das Kind schlief immernoch.
Ich genoss die wieder gewonnene Freiheit so sehr, dass ich nun jeden Tag neben Babypflege den Haushalt wieder auf Vordermann zu bringen versuchte. Völlig gehetzt wanderte ich von Zimmer zu Zimmer und putzte, räumte um und räumte auf. Mein Kind schlief derweil selig vor sich hin und bekam von meiner Putzkampagne nichts mit. Nach drei Tagen gefühlter Grundsanierung erntete ich auch schon die Belohnung für meinen Übereifer. Ich bekam eine nette Brustentzündung, als diese dann vorüber war und ich wie gewohnt wieder den Haushalt in Angriff nahm, folgte eine fiese Erkältung. Meine Nachsorgehebamme hatte dafür nur wenig Mitleid übrig, stattdessen sagte sie nur tadelnd: "Das Wochenbett holt dich immer zurück." Soll heißen: wer sich im Wochenbett nicht schont, wird früher oder später durch den Körper dazu gewzungen. Mit unangenehmen Folgen. Mein Kind war erst sechs Wochen alt und ich bekam die Strafe dafür, dass ich zu schnell zurück zum Alltag zurück kehren wollte. Neulich laß ich einen Artikel über das Wochenbett, indem die Autorin zu mehr Mut zum Ausruhen und Nichtstun aufrief. In anderen Kulturen Gang und Gebe, in meinem Umfeld durchaus so etwas wie ein Zeichen von Schwäche. Ich beging so ziemlich jeden Fehler, den man im Wochenbett machen kann. Nichts mit Schonen, Ausruhen und "Fünfe grade sein lassen". Ich war dermaßen gehetzt und mechanisch, dass ich mir die ersten Wochen mit meinem Kind regelrecht versaut habe. Hätte ich die wieder gewonnene Freiheit zum Tee kochen oder Essen machen oder einfach nur zum Anrichte wischen genutzt, wäre das wohl kein Problem gewesen. Aber dabei blieb es nicht. Ich wollte allen beweisen, wie gut ich schon nach ein paar Wochen alles im Griff hatte.
Man liest aber auch andere Ratschläge in so tollen Ratgebern für junge Mütter: "Gönnen Sie sich mal was, Sie haben es sich verdient. Lesen Sie etwas Schönes, bestellen Sie sich etwas zu Essen, vergessen Sie Ihre Beziehung aber nicht und nehmen Sie sich wenigstens eine Stunde Auszeit nur für sich allein, gehen Sie Ihren gewohnten Pflegeritualen nach, pflegen Sie Kontakte zu Gleichgesinnten und vor allem: Genießen Sie die Zeit wenn ihr Kind schläft und schlafen Sie am Besten dann selbst." Das liest sich zwar alles wie ein schöner Rosamunde-Pilcher-Roman, aber genau wie dieser ist das alles ausgemachter Blödsinn. Gönnen Sie sich mal was- am Arsch! Ich gebe zu, ich war zu ehrgeizig, vor allem in meinem allgemein schlechten körperlichen Zustand musste mein Übereifer ja schief gehen. Aber wie zum Teufel soll ich mir was gönnen, mir eine Auszeit nehmen, meinem Kind gerecht werden UND zu ausreichend Schlaf kommen? Ich dachte oft darüber nach und kam zu dem Schluss, dass dieser Ratgeber sicher nicht von einer Mutter geschrieben wurde. Oder zumindest lag deren Mutterschaft einige Jahre zurück und konnte sich nicht mehr daran erinnern, wie unmöglich anstrengend das war.
Aus dem ganzen habe ich aber eine wichtige Lektion gelernt:
Die Trage nutze ich jetzt gut und gerne für Spaziergänge und Erledigungen,- aber nicht um meinen oder überzogenen Ansprüchen gerecht zu werden. Sollte es aber irgendwann eine Trage geben, die auch putzen kann, bin ich gewillt meine Einstellung nochmal zu überdenken. Wenn ich mir heute einen Tee kochen will, koche ich mir einfach einen Tee, gleich nachdem ich das Kind todesmutig in seinem Laufstall abgelegt habe. Das Gemecker nehme ich wohlwollend hin. Genau wie die Tatsache, dass im Bad einen Tag lang ein Berg Wäsche liegt und die Fenster nicht geputzt sind. Als Wiedergutmachung bekommt mein Sohn eine entspanntere Mutter und eine extra Tragekuscheleinheit. So einfach ist das.
Dieser Beitrag ist ein Gastbeitrag. Die Autorin Anne Tinius hat ebenfalls einen eigenen Blog, wenn dir ihre Schreibart gefällt, so schau doch mal bei ihr vorbei.
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