Vor mehr als vier Jahren hatte ich einen Sportunfall beim Bouldern. Dabei hatte ich mir das Sprunggelenk gebrochen, sowie verschiedene Bänder gerissen. Nachdem die rein körperliche Heilung abgeschlossen war, merkte ich jedoch, dass ich psychisch in Bezug auf das Bouldern und den Unfall noch nicht geheilt war.

Ich hatte unglaublich viel Angst. Angst wieder stürzen zu können. Angst meinem Körper zu vertrauen. Und auch Angst, wenn mein Mann oder mein Sohn boulderten. Darüber habe ich vor knapp drei Jahren einen Artikel mit meinen Gedanken geschrieben, welchen ich Die Angst hat mich im Griff? genannt habe. Die Angst war mein größtes Thema in Bezug auf das Bouldern.

Aufnahme einer Frau, welche gerade bouldert.

Heute möchte ich schreiben, was aus dieser Angst geworden ist. Wie ich gelernt habe und immer noch lerne damit umzugehen. Was mir geholfen hat und was mich unter Druck gesetzt hat.

Inhaltsangabe

Zeit heilt alle Wunden?

Ich denke nicht, dass dieses Sprichwort stimmt. Ich denke, dass bei jeder Verletzung Narben bleiben. Bei jeder psychischen Verletzung bleiben Narben in der Seele. Und fast jede körperliche Narbe passt zu einer seelischen Narbe.

In meinem Fall würde ich sagen, dass die Angst nicht weg ist. Es sind also auch in diesem Zusammenhang nicht alle Wunden geheilt. Dennoch sind die Narben blasser, kaum noch sichtbar. Die Angst ist nicht mehr so präsent, wenn ich weiß, dass mein Mann bouldern geht. Wenn ich meinen Sohn auf Bäumen klettern sehe. Ich bin nicht mehr in einer Daueranspannung, wie ich es anfangs nach dem Unfall war.

Aufnahme einer Kletterwand in einer Halle, an der gerade an eine Frau mit Sicherung klettert.

Konfrontation ist die beste Therapie?

In diesem Punkt möchte ich einen kurzen Schlenker zur Konfrontationstherapie machen und was diese beinhaltet, denn hier liegt der Ursprung für diese Aussage. Konfrontationstherapie oder Expositionstherapie ist ein Teilbereich der Verhaltenstherapien. Die Behandlungsmethode wird typischerweise eingesetzt bei Phobien und Ängsten, wäre hier also ziemlich passend.

Die Wirksamkeit wurde vielfach in Studien belegt. Also auch ein guter Punkt, der dafür spricht, dass ich doch einfach bouldern gehen sollte. Wobei einfach hier natürlich sehr überspitzt geschrieben ist. Von einfach kann keine Rede sein. Mehr über die Expositionstherapie kannst du übrigens im entsprechenden Wikipedia-Artikel Konfrontationstherapie nachlesen.

Wenn eine Diagnose gestellt ist und die Konfrontation tatsächlich in der Therapie eingesetzt wird, funktioniert das folgendermaßen: Während der Begleitung des Therapeuten oder der Therapeutin würde ich mich ganz gezielt mit angstauslösenden Reizen konfrontieren. Hierbei würde in der Regel zunächst mit einer schwachen Intensität begonnen werden, also mit einem Reiz, der mich noch nicht in Panik versetzt, der mich meine Angst jedoch deutlich spüren lässt. Stück für Stück würde die Intensität gesteigert werden, um schließlich eine realistische Angst zu enwickeln.

Ziel ist nämlich nicht, dass die Angst komplett verschwindet. Angst ist durchaus sinnvoll. Angst ist eine Schutzreaktion. Allerdings ist es wichtig, dass wir dafür eine Situation realistisch bewerten. Das kennst du vielleicht von der Flugangst. Das Risiko eines Absturzes oder Ähnlichem ist verschwindend gering und doch haben einige Menschen mehr oder weniger viel Angst vor dem Fliegen. Was hier ebenfall mit hineinspielt, ist die Einschränkung durch die Angst im Alltag.

Wenn ich in meinem Alltag meinen Hobbies nicht mehr nachgehen kann, wenn ich nicht mehr aus dem Haus gehe, dann bin ich deutlich eingeschränkt. Wenn ich meine Angst allerdings auch hin und wieder überwinden kann, wenn denn sein muss, so ist die Einschränkung eher in der inneren Anspannung spürbar und wenig sichtbar durch wirkliches Vermeidungsverhalten.

Zeitweise vermied ich jeden Kontakt zum Bouldern oder Klettern. Ich ging ewig nicht in die Kletterhalle, wollte am liebsten nichts davon wissen, wenn andere es taten und konnte nicht hinsehen, wenn meine Kinder kletterten.

Ein Kind klettert in einem Baum.

Doch Stück für Stück fasste ich wieder Vertrauen. Ich lernte zu unterscheiden zwischen meinem Unfall und dem tatsächlichen Risiko. Ich ging mehr oder weniger gezwungenermaßen drei oder vier mal nach dem Unfall bouldern. Mein Mann musste dabei sein, das war mir wichtig. Es kostete mich wirklich viel Überwindung. Ich kletterte nicht wirklich weit nach oben, sondern nur bis zu einer gewissen Höhe.

Ich fing mit leichten Routen an, doch steigerte mich recht schnell und suchte auch wieder Herausforderungen. Ich merkte, dass ich mich bei weitem nicht so sicher fühlte wie vor dem Unfall. Dass ich nicht so viel ausprobierte und riskierte. Doch ich boulderte wieder. Das war für mich ein Riesenschritt.

Es ist nicht mehr die Leidenschaft, die ich vor dem Unfall hatte, als wir fast jedes Wochenende in der Kletterhalle verbrachten. Aber mittlerweile kann ich das Ganze etwas entspannter sehen.

Wissen ist Macht?

Ein wichtiger Punkt, der vielleicht bei der Konfrontation auch schon etwas mitschwingt, ist das bewusste Auseinandersetzen mit dem Risiko, mit der Gefahr. Ich recherchierte tatsächlich ziemlich konkret, wie häufig Unfälle beim Bouldern passieren. Dazu habe ich den Artikel Wie passieren Unfälle in Kletterhallen vom Deutschen Alpenverein gelesen. Der wichtigste Aspekt steht hier direkt am Anfang: Unfälle beim Klettern oder Bouldern sind selten.

Detailaufnahme eines Menschen sitzend vor einem Laptop mit verschiedenen Grafiken.

Außerdem versuchte ich noch einmal, den Unfall zu rekonstruieren. Das war nicht wirklich leicht, denn mir fehlten Teile der Erinnerung kurz vor dem Unfall. Auch jetzt kann ich es noch nicht zu 100 % nachvollziehen, wie es zu dem Sturz kam. Allerdings habe ich eine ziemlich konkrete Idee, wie es wahrscheinlich gewesen ist.

Ich habe nach Artikeln gesucht, was beim Bouldern beachtet werden soll und wie ich sicher bouldern kann. Ich las das Interview zum Thema Klettern lernen auf der Website von Dextro Energy. Außerdem schaute ich mir Videos zum sicheren Bouldern an. Je mehr Artikel ich las und je mehr Videos ich schaute, desto mehr Sicherheit gewann ich tatsächlich. Ich hatte konkretes Wissen, wie ich Unfälle vermeiden könnte. In meinem Fall ist Wissen also weniger Macht als Sicherheit. Wissen gibt Sicherheit.

Auch in der Kletterhalle tauschte ich mich aus, worauf ich achten sollte. Ein Kletterlehrer empfahl mir mit dem gesicherten Klettern zu beginnen, um so das Vertrauen in meinen Körper wiederzugewinnen. Das klang für mich logisch. Gleichzeitig war meine Motivation mich wirklich so intensiv und konkret an das Klettern heranzuwagen dann doch nicht groß genug, um diesen Schritt zu gehen.

Detailaufnahme eines Klettergurtes mit Sicherung.

Fazit

Seit meinem Boulderunfall sind nun mehr als vier Jahre vergangen. Die Angst dahingehend ist nicht vollständig verschwunden, doch ich habe gemerkt, wie sie mit der Zeit weniger wurde. Geholfen haben mir außerdem eine kleinschrittige Konfrontation und die gezielte Auseinandersetzung mit dem Thema in Bezug auf Risiken und Gefahrenquellen.

Aktuell kann ich sagen, dass mich die Angst nicht einschränkt. Bouldern ist nicht mein Lieblingshobby, aber ich lasse mich wieder darauf ein, mit in die Kletterhalle zu fahren.

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